„Eigentlich nicht oder doch?“

„Eigentlich nicht oder doch?“

„Eigentlich nicht oder doch?“ 2560 1810 Kunst-Therapie-Hannover

Die Mehrdeutigkeit von „eigentlich“ im Alltag und im therapeutischen Kontext (Teil 1)

Im achtsamen Umgang mit Sprache können wir viel über unser Gegenüber und über uns selber erfahren. So horche ich zum Beispiel auf, wenn ich selber oder andere das Wort „eigentlich“ benutzen. Im therapeutischen Kontext habe ich bemerkt, dass es sehr lohnenswert sein kann, diese Aussagen einmal etwas genauer zu analysieren. Was bedeutet es, wenn wir dieses scheinbar unscheinbare Wort benutzen?

„Was bedeutet es, wenn wir dieses scheinbar unscheinbare Wort „eigentlich“ benutzen?“

Beispiele aus der Praxis

Um meine Überlegungen anschaulicher zu machen, habe ich für Sie Beispiele gesammelt, die so ähnlich auch in kunsttherapeutischen Stunden vorkommen. Wenn Sie mögen, können Sie diese beim Lesen mit Ihre eigenen Beispielen abgleichen. In der Kunsttherapie höre ich das Wort häufig während der Besprechung am Ende der Stunde:

„Eigentlich gefällt mir mein Bild jetzt ganz gut.“ „Ich wollte heute eigentlich etwas ganz anderes malen.“ „Eigentlich wollte ich heute damit fertig werden.“ „Ich weiß eigentlich gar nicht, was das sein soll.“ „Dazu wollte ich eigentlich nichts sagen.“ „Eigentlich bin ich jemand, der lieber zeichnet.“ „Ich dachte eigentlich, dass ich gar keine Portraits malen kann.“ „Eigentlich mag ich Rot gar nicht.“ „Sonst male ich eigentlich immer Bäume.“

Eigentlich nicht oder doch? Vergrößerter Ausschnitt von einer Malwand. Viele Farben und Linien. Bunt. Pinselstriche sind sichtbar.

So ganz spontan könnte man meinen, dass man das „eigentlich“ in diesen Sätzen auch weglassen könnte:

„Mir gefällt mein Bild jetzt ganz gut.“ „Ich wollte heute etwas ganz anderes malen.“ „Heute wollte ich damit fertig werden.“ „Ich weiß gar nicht, was das sein soll.“ „Dazu wollte ich nichts sagen.“ „Ich bin jemand, der lieber zeichnet.“ „Ich dachte , dass ich gar keine Portraits malen kann.“ „Ich mag Rot gar nicht.“ „Sonst male ich immer Bäume.“

Eigentlich nicht oder doch? Vergrößerter Ausschnitt von einer Malwand. Viele Farben und Linien. Bunt. Pinselstriche sind sichtbar.

Was würde sich verändern, wenn die Sätze direkt ohne das „eigentlich“ ausgesprochen würden? Das können wir jetzt einmal gemeinsam testen. Falls Sie vorher etwas über die Grammatik erfahren möchten, können Sie den Exkurs lesen. Ansonsten überspringen Sie einfach die graue Box und lesen unten weiter …

GRAMMATIK EXKURS:

„Eigentlich“ als Adverb, Adjektiv und Partikel

Und nun ein kurzer Grammatik Einschub. Das Wort „eigentlich“ kann als Adverb, Adjektiv und Partikel eingesetzt werden. Schauen wir uns das der Reihe nach an:

(1) Als Adverb: Bezieht sich auf die Wirklichkeit – das was ist und auch das was sein sollte

  • „Eigentlich wollte ich heute einkaufen gehen.“ (ursprünglich, aber schon aufgegeben)
  • „Eigentlich bin ich krank“ (tatsächlich, genau genommen)
  • „Eigentlich ist das Dunkelbraun.“ (sieht anders aus, als es scheint)

= kann ersetzt werden durch: An und für sich, ja, genau genommen, tatsächlich, ursprünglich, wirklich, im Grunde

(2) Als Adjektiv: Bezieht sich auf die Wirklichkeit – das Wirkliche, Tatsächliche

  • „Der eigentliche Grund für meinen Besuch ist …. .“
  • „Mein eigentliches Problem ist, dass ich … .“

= kann ersetzt werden durch: Echt, tatsächlich, ursprünglich, wesentlich

(3) Als Partikel: Vorwurfsvoll und verstärkend oder einfach nur so nebenbei bemerkt

  • Hast du mir eigentlich zugesehen?“ (vorwurfsvoll „Hast du mir überhaupt zugesehen – oder etwa nicht?“)
  • „Kennst du diesen Film eigentlich auch?“ (was ich auch noch so nebenbei wissen möchte)
  • „Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich habe?“ (verstärkend)

= kann ersetzt werden durch: Überhaupt, übrigens oder eine Steigerungsform

„Eigentlich“ – Gedankenspiel (zum Mitmachen)

Sie sind bereits Klientin oder Klient in meiner Praxis? Dann kennen Sie wahrscheinlich meine „Gedankenspiele“. Falls nicht, hier kommt gleich eins. Möchten Sie mitdenken und miterleben? Dann mal los:

(1) Lassen Sie folgende Sätze kurz auf sich wirken und spüren Sie der STIMMUNG nach, die zwischen den Zeilen und den Gesprächspartnern schwingen könnte:

„Hast du mir eigentlich zugehört?“ oder

„Eigentlich habe ich keine Zeit für dich.“

(2) Und nun lassen Sie folgende Sätze einmal auf sich wirken und spüren Sie der ZUSÄTZLICHEN INFORMATION nach, die zwar nicht ausgesprochen wird, aber auch transportiert wird, wenn jemand zu Ihnen sagt:

„Eigentlich könnte es dir ja gut gehen.“ oder

„Eigentlich steht dir die neue Frisur ganz gut.“

Haben Sie es bemerkt? Vielleicht haben Sie die nicht ausgesprochene Aussage weitergedacht. Meist folgt auf das „eigentlich“ ein (nicht ausgesprochener) „aber“-Satz:

  • „Eigentlich könnte es dir ja gut gehen – aber du jammerst nur rum.“
  • „Eigentlich könnte es dir ja gut gehen – aber du machst nichts draus.“
  • „Eigentlich könnte es dir ja gut gehen – aber du bist ständig auf der Suche nach mehr.“
  • „Eigentlich steht dir die neue Frisur ganz gut – aber ich finde lange Haare schöner.“
  • „Eigentlich steht dir die neue Frisur ganz gut – aber so eine Dauerwelle ist zu teuer.“
  • „Eigentlich steht dir die neue Frisur ganz gut – aber die Farbe ist total unmodern.“

Und wenn der dazugehörige „aber“-Satz nicht ausgesprochen gleich von Ihnen ausgesprochen wird, dann ergänzt der Zuhörer ihn so, wie es seiner Meinung nach zur Situation passt. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht? Und welche Konsequenzen das haben könnte? Für Sie selbst? Für den anderen? Und für die Kommunikation zwischen Ihnen beiden?

Wenn Sie das nächste Mal „eigentlich“ sagen

Beim nächsten „eigentlich“ das Sie aussprechen, denken oder hören, könnten Sie also einmal überprüfen, was die Aussage „ohne eigentlich“ wäre oder was „uneigentlich“ gemeint sein könnte. So können Sie nachspüren, welche Mehrdeutigkeit gerade im Raum steht. Oder in Ihrem Kopf.

Sobald Sie nämlich diese Mehrdeutigkeit wahrgenommen haben, können Sie sich davon etwas distanzieren und sich danach bewusst positionieren. Und wenn es ein anderer gesagt hat, dann können Sie freundlich nachfragen, statt sich selber den „aber“-Satz dazu zu denken.

„Eigentlich“ – „Wenn ich bewusst und gegenwärtig wäre, welche Position würde ich einnehmen?“

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„Eigentlich“ – das sind mindestens zwei Aussagen gleichzeitig

Warum nachspüren oder nachfragen? Weil in solchen Aussagen quasi zwei Personen gleichzeitig sprechen. Häufig mit gegenteiligen Ansichten. Für eine klare und authentische Position und Handlungsweise wäre es also gut, zu wissen wo man stehen will. Und was man ausdrücken möchte. Betrachten wir jetzt einmal ein paar „eigentlich“-Gedanken und die „2 Personen, die da in meinem Kopf sprechen“:

(1) Eine, die erkennt, was auf mich bezogen das Stimmigste wäre und eine die erkennt, dass die anderen etwas anderes von mir erwarten.

(2) Eine, die erkennt, was ich mir wünsche eine die erkennt, was ich stattdessen tue.

(3) Eine, die erkennt, wo ich mich gerade befinde und eine, die erkennt wo ich lieber wäre.

(4) Eine, die erkennt, was ich sage und eine, die erkennt, dass ich etwas anderes denke.

(5) und, und, und …

Erkennen Sie das auch? Diese Sätze verbinden Innenwelt und Außenwelt und zeigen uns, dass wir uns gerade eher nach dem Außen richten, statt authentisch zu sein. Oder wir richten uns nach dem, was die Außenwelt erwartet oder früher einmal von uns wollte (z.B. „Richte dich nach deinen jüngeren Geschwistern“ „Man sollte nicht mit Schwarz malen“ „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“). Also weißt es uns auf unsere Prägungen und Muster.

„Ich will was ganz anderes“ – Kampf gegen die Realität

Und weiter mit der Selbsterkenntnis: Diese „eigentlich“-Aussagen verdeutlichen uns manchmal auf wunderbare Weise unseren (häufig unbewussten) Kampf gegen die Realität. In diesen Fällen können sie uns aufzeigen, dass wir die Realität gerade nicht annehmen möchten, sondern etwas am liebsten anders hätten, als es ist. Und statt sich nach dem zu richten, was wir tatsächlich wollen, sprechen wir dann häufig in doppeldeutigen Aussagen:

„Eigentlich mag ich bei dem Wetter nicht raus gehen“ = „Ich mag rausgehen und ich mag nicht rausgehen (weil das Wetter anders ist, als ich es möchte).“

Eigentlich sollte sie sich anders benehmen. = „Ich möchte, dass sie sich so verhält und sie verhält sich nicht so (weil sie anders ist, als ich es möchte).“

Das Wetter und die andere Person sind so wie sie sind. (OK, ich verstehe, dass diese Aussage manche Menschen verärgert. Allerdings: Es ist die Realität, denn sie sind ja so.)

In mir selber erzeuge ich Stress, wenn ich gegen das was ist (= Realität) ankämpfe. Und zwar jedes Mal, wenn ich etwas anders haben möchte als es nun mal ist. Einfacher wäre es, die Realität als solche anzunehmen und trotzdem handlungsfähig zu bleiben – damit Sie mich nicht falsch verstehen: Das bedeutet nicht, dass Sie klein beigeben sollten! Siehe Blog Beitrag “Wenn sie sich doch nur ändern würde!”. (Achtung: Das gilt für Situationen, in denen Sie in Sicherheit sind.)

„Eigentlich“ verdeutlichen uns manchmal auf wunderbare Weise unseren unbewussten Kampf gegen die Realität.

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Was wollen Sie wirklich?

Und da wir häufig unbewusst und automatisch gegen die Realität kämpfen, kann so ein Wort wie „eigentlich“ sehr hilfreich sein. Irgendwie ist es wie ein Signal – ein Wecker, eine Sirene, eine Flagge:

Achtung – halte mal einen Moment inne und überprüfe, was du wirklich willst.“

Erkennen wir unseren Kampf gegen die Realität, dann können wir uns mit Achtsamkeitsübungen und Entspannungsübungen helfen. Diese Übungen helfen uns gelassener zu werden, um dann in Ruhe zu entscheiden, wie wir handeln möchten. Wie ich eigentlich handeln möchte ist nämlich genau so, wie ich tatsächlich handeln möchte.

Die Situation kann dabei so bleiben wie sie ist – ich kämpfe nicht gegen sie, sondern bewege mich in ihr und verfolge mein Ziel. Wenn ich mir einen anderen Plan zurecht gedacht hatte – OK – dann ändere ich ihn entsprechend. Die Energie, die ich fürs ärgern bräuchte, die stecke ich lieber in die Planänderung / Plananpassung.

=> Diese Erkenntnis ist so wichtig, da der Kampf gegen die Realität häufig ein unbewusster Energiefresser ist.

„Eigentlich erschöpft, aber es muss ja weitergehen?“

Sind Sie erschöpft? Dann hören Sie sich einmal beim Reden und Denken zu und achten Sie auf Ihre ganz persönlichen „eigentlich“ Aussagen und begeben Sie sich auf die Suche nach dem, was Sie im Grunde schon jetzt über sich wissen:

„Was ich eigentlich wollte … .“

Und was ich Ihnen mit diesem Beitrag vermitteln möchte? Wie spannend der achtsame Umgang mit unserer Sprache sein kann. Und wie hilfreich es für die Selbsterkenntnis sein kann – egal, ob Sie Therapeutin oder Klientin sind.

Offen. Anders . Gut

Ich wünsche Ihnen, dass Sie hinter dem nächsten „eigentlich“ das „Eigentliche“, nämlich „das, was jetzt gerade da ist“ erkennen – und etwas friedlicher leben können. Gelassen und frei.

Mit herzlichen Grüßen aus Garbsen

Claudia Berger


OFFEN . ANDERS . GUT – wie Sie persönliche Veränderungen erreichen

Theorie und Wissen alleine bewirken keine Verhaltensänderung. Also auch nicht das Lesen dieses Blog-Artikels. Wenn Sie etwas „verstehen“ oder „einsehen“, wird sich nicht viel in Ihrem Alltag verändern. Allerdings motivieren uns Wissen und Erkenntnisse, Veränderungen in Angriff zu nehmen! Wenn Sie sich von Ihrer persönlichen Situation „ein Bild machen wollen“ und die damit verknüpften (negativen) Gedanken und Gefühle bearbeiten möchten, dann sind Sie bei mir richtig.

In der Region Hannover gibt es viele freie Anbieter zu Coaching, Beratung und Psychotherapie. Was mich auszeichnet? Mit mir sprechen Sie nicht über Probleme, mit mir finden Sie Lösungen – auf Wegen, die Sie bisher noch nicht gegangen sind: OFFEN . ANDERS . GUT

Dr. rer. nat. Claudia Berger, Heilpraktikerin für Psychotherapie – Psychotherapie, Psychosoziale Beratung, Psychologische Beratung und Kunsttherapie in Garbsen (Region Hannover), Praxis und Atelier im Gesundheitszentrum Garbsen, Kontaktformular

PS: Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Wort „eigentlich“ gemacht? Ich freue mich über Ihren Kommentar.